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Omas Kartoffelsalat

Wenn bei uns zu Hause gefeiert wurde, dann bereitete meine Oma immer eine Riesenportion Kartoffelsalat zu. Keiner konnte das so gut wie sie. Alle hatten es schon versucht, Mama, Tante Tina, sogar Onkel Jörg, ihre Salate kamen nicht annähernd an den herrlichen Kartoffelsalat meiner Oma heran. Das Rezept rückte sie aber nicht raus und wenn mal einer versuchte, sie auszuspionieren, dann hat sie es stets gemerkt und den Spion aus ihrer Küche verwiesen. Oma wurde bei solchen Verfehlungen zum Feldwebel. „Verschwindet aus meiner Küche, aber zackig!“, rief sie dann und niemand widersetzte sich, schon weil alle fürchteten, dass sie dann keinen Salat mehr machen würde. Das wollte keiner von uns.
Oma war gesundheitlich recht fit, aber sie sah nicht mehr so gut. Sie besaß zwar eine Brille, aber die war ihr beim Kochen lästig.
„Immer beschlägt das blöde Ding!“, behauptete sie und setzte sie nur auf, wenn sie die Zeitung las, oder das Haus verließ. Und natürlich sonntags, wenn sie in die Kirche ging, wo sie mit Inbrunst alle Lieder mitsang. Oma war textsicher, jedenfalls in den ersten drei Strophen, für die restlichen brauchte sie die Brille.
An einem Sonntag im Herbst war ich mal wieder mit Oma in der Kirche. Wir saßen immer ganz hinten, weil Oma dann besser sehen konnte, wer so alles in die Kirche kam. So ein Gottesdienst war ja ein gesellschaftliches Ereignis und da musste sie doch sehen, wer daran teilnahm. Leise kommentierte sie, damit ich auch was davon hatte.
„Guck, das ist Försters Grete, die kennst du doch, ne?“, sagte sie zum Beispiel. Wenn ich das verneinte, dann lieferte sie der Erklärung nach: „Die ist doch eine geborene Schlüter, von Schlüters, die hinten bei den Fichten wohnen! Die hat dann den Förster geheiratet, den wollte sonst keine!“ oder „Nun guck dir die alte Meiersche an, den Hut hat sie doch schon dreißig Jahre, ist der nicht unglaublich hässlich?“
Ich musste mir oft das Lachen verkneifen, das kann man sich sicher vorstellen. Öde waren die Besuche mit Oma in der Kirche auf keinen Fall, sie wusste über jeden etwas zu berichten und ich hörte brav zu.
Manchmal buffte sie mich in die Seite, dann musste ich genau hinschauen, wer da gerade an uns vorbei durch den Mittelgang marschierte. Die meisten Leute aus unserem Dorf kenne ich ja auch, aber es war auch immer mal einer dabei, den ich noch nie gesehen hatte. Also verkniff ich mir „Aua“ zu rufen und schaute genau hin.
„Das ist der Tonius, der war in meiner Klasse!“, sagte sie einmal.
„Wenn du mir versprichst, es keinem Menschen weiterzusagen, dann verrate ich dir was!“
Ich hob drei Finger zum Schwur und war gespannt. „Du darfst es aber wirklich nicht sagen, vor allem dem Opa nicht, der wird verrückt, wenn er das hört!“
Ich schüttelte heftig den Kopf. „Du kannst dich drauf verlassen, heiliges Ehrenwort!“, sagte ich, weil ich das, besonders in der Kirche, für angemessen hielt.
„Der war mal ein glühender Verehrer von mir und beinahe …“ Jetzt wurde es spannend.
„Ja?“, flüsterte ich aufgeregt.
„Beinahe hätte ich den geküsst!“ Oma errötete ein kleines bisschen. Verschämt sah sie sich um.
„Das hat doch wohl keiner gehört, oder?“, wollte sie von mir wissen.
„Nee, bestimmt nicht, ich habe es selbst kaum hören können!“, beruhigte ich sie. Vor lauter unterdrücktem Lachen hatte ich einen Schluckauf bekommen. Die Leute schauten schon auf mich und das war Oma natürlich sehr unangenehm, wo sie mir doch gerade so ein geheimes Geheimnis anvertraut hatte.
Als der Gottesdienst zu Ende war, hatte sie es dann plötzlich sehr eilig nach Hause zu kommen. Sie wartete nicht einmal mehr den Segen ab und zog mich zum Ausgang. Und wie das so ist, wenn man nicht mehr so gut sieht und die Brille in der Handtasche ruht und man es zudem noch eilig hat, man wird unvorsichtig und es passierte, was passieren musste. Oma übersah die letzte Treppenstufe vor dem Kirchenportal und stürzte.
Ich versuchte ihr aufzuhelfen, aber das war nicht möglich. Schmerzverzerrt fluchte Oma: „Heiliges Kanonenrohr! Der Kartoffelsalat!“ Ungläubig sah ich sie an. Was hatte denn der Kartoffelsalat damit zu tun?
„Da ist bestimmt was gebrochen!“, heulte sie. „Und ich habe den Kartoffelsalat noch nicht fertig, heute Abend kommen doch Tina und Jörg zum Essen!“
„Also Oma, wenn du keine anderen Sorgen hast!“, schimpfte ich. Die anderen Gottesdienstbesucher kamen nun auch aus der Kirche und sahen die Bescherung. Hilfe nahte in Form von Tonius, dem glühenden Verehrer.
„Nicht bewegen!“, rief er besorgt. „Ich rufe einen Krankenwagen!“ Er zückte sein Handy und wählte den Notruf an.
Eine Viertelstunde später saßen Oma und ich im Krankenwagen. Besser gesagt: Oma lag und ich saß daneben. Im Krankenhaus wurde der Fuß geröntgt. Glücklicherweise war nichts gebrochen, nur der Knöchel war verstaucht und Papa konnte uns aus dem Krankenhaus wieder abholen. Oma saß dann in der Küche, Papa bettete ihren Fuß auf einen Hocker und dann mussten alle die Küche verlassen. Nur ich durfte bleiben und unter Omas Anleitung den Kartoffelsalat fertigstellen.
Ja, so war das!
Nun tut mir bitte einen Gefallen und erzählt die Sache mit dem Verehrer nicht weiter, ich habe es Oma versprochen!

© Regina Meier zu Verl

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