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Lavendel heilt

„Lass mich doch in Ruhe und hör auf zu drängeln. Ich werde nicht zum Arzt gehen. Du kennst meine Meinung dazu!“, schimpfte Werner, den Manuela zum wiederholten Male gebeten hatte, endlich einen Arzt aufzusuchen. Diese Husterei war unerträglich, für sie beide. So konnte es nicht weitergehen.
„Dann geh zu einem Heilpraktiker oder meinetwegen zu einer Kräuterfrau, aber tu endlich etwas!“, schimpfte Manuela zurück. Sie machte sich Sorgen, durfte das aber auf keinen Fall zeigen. Dagegen war Werner allergisch.
„Das werde ich auch tun!“, brummte er.
Am Abend kam er mit einer Stofftüte voller Bücher zurück. Bücher über Kräuter, Heilwissen, Achtsamkeit und Naturrezepte.
An den folgenden Abenden studierte er die Bücher und immer wieder las er Manuela besonders interessante Erkenntnisse vor.
„Das sollten wir auch einmal versuchen!“, sagte er zum Beispiel oder: „Bist du so lieb und bringst mir vom nächsten Einkauf Meersalz mit, ich möchte einmal so ein Dampfbad ausprobieren!“
Manuela freute sich, dass er aktiv wurde und unterstützte ihn in allem, was er testen wollte. Seinen Husten aber machte dies nicht besser und sie war nach wie vor sehr beunruhigt. In dieser Nacht war es wieder besonders schlimm, und weil sie nicht einschlafen konnte, brühte sie sich in der Küche einen Melissentee auf. Während sie wartete, bis der Tee die Kraft der Kräuter in sich aufgenommen hatte, blätterte sie in dem Kräuterbuch, das noch geöffnet auf dem Tisch lag. Dieses Kräuterwissen war für sie ein Buch mit sieben Siegeln, aber es klang vertrauenserweckend, was sie las. Sie seufzte.
Als sie zu Bett ging, fiel es ihr aber erstaunlicherweise gar nicht mehr schwer, einzuschlafen. Werner hatte gerade eine ruhige Phase und der Melissentee schien auch zu helfen. Manuela träumte von Kräutergärten und duftenden Lavendelfeldern. Als sie erwachte, fühlte sie sich, als hätte sie tatsächlich eine schöne Zeit in der Provence verbracht. Fast meinte sie, den milden Duft des Lavendels und der anderen mediterranen Wildkräuter noch in ihrer Nase zu spüren. Und auf einmal reifte eine Idee in ihr. Eine wundervolle Idee. Ja, warum nicht ein paar Tage in die Provence verreisen? Bestimmt würde Werner das Klima dort und die Düfte guttun und ihr auch.
Am Abend, während ihr Mann in den Kräuterbüchern stöberte, schaute Manuela im Internet nach Ferienangeboten in der Provence. Wie verlockend das alles aussah, am liebsten hätte sie gleich etwas gebucht, natürlich musste sie das mit Werner besprechen. Sie wollte aber erst einmal weiter schauen und dann überlegen, wie sie Werner das so verkaufen könnte, dass er auf jeden Fall darauf einstieg.
„Hör mal bitte“, sagte ihr Mann in ihre Gedanken hinein. „Hier steht, dass der Lavendel schon im Mittelalter als Heilpflanze entdeckt wurde und bis heute häufig in der Naturheilkunde eingesetzt wird.“
„Wie kommst du ausgerechnet auf Lavendel? Habe ich etwa geredet im Schlaf?“, fragte sie und lachte. Es war immer wieder erstaunlich, dass solche Gedankenübertragungen bei ihnen noch immer funktionierten.
„Na ja“, meinte Werner und sah sie mit einem musternden Blick an. „Lavendel ist gut für die Nerven.“
„Und? Meinst du, wir haben es nötig, unsere Nerven zu stärken?“ Manuelas Stimme klang ein bisschen spitz.
„Na ja“, sagte Werner schon wieder. „Du ganz bestimmt. Dich stört ja jeder Huster von mir, das ist doch nicht normal.“
Manuela schnaubte. Wie sie dieses „Na ja“ hasste. Und überhaupt: Sie sollte nervös sein? Ha!
„Ich bin nicht nervöser als du – aber ich dachte gerade, dass uns beiden eine Reise guttun würde, zum Beispiel in die Provence. Dort könnten wir die beruhigende Wirkung des Lavendel an Ort und Stelle testen. Was hältst du davon?“
„Ich bin doch nicht nervös“, polterte Werner los. „Was legst du mir da wieder in den Mund? Ich bin ruhig, ruhig, ruhig und dazu brauche ich keine Reise zu Lavendelfeldern.“ Er schluckte, hustete, schwieg für einen Moment. „Ich brauche nur ein gutes Mittel gegen diesen verdammten Husten. Nichts weiter.“
Manuela musste nun doch grinsen. „Lavendelöl wirkt schleimlösend und mildert den Husten auf sanfte Weise“, sagte sie mit betont sanfter Stimme.
„Echt jetzt?“, fragte Werner und Manuela musste laut lachen. „Du hast dir schon so einiges von unseren Enkeln abgeguckt!“
Werner stimmte in ihr Lachen ein.
„Sagen wir es mal so: Es wäre voll echt krass, wenn dieses Kraut gegen beides helfen könnten. Was meinst du, sollen wir es in Angriff nehmen und eine voll coole Reise machen?“
„Voll cool“, rief Manuela und klatschte in die Hände. Cool! Dass sie das einmal sagen würde! Sie lachte noch ein bisschen mehr. Und Werner lachte mit.
„Ein bisschen“, sagte er und grinste, „ja, ein bisschen wirkt er schon, der Lavendel.“
Sie buchten eine Woche Provence und die Vorfreude half schon ein wenig bei verschiedenen Wehwehchen.
Fazit: Lavendel und Vorfreude helfen, jedenfalls gegen Nervosität. Plötzlich nimmt man alles ein wenig gelassener und wenn sich nun noch neben dem Lavendel ein Kraut gegen den Husten findet, dann kann man doch zufrieden sein, oder?

© Regina Meier zu Verl