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Die Katzenmutter und das Brathähnchen

Die Menschen nennen mich Streuner. Das klingt abfällig, finde ich. Sie haben keine gute Meinung von mir, deshalb habe ich auch kein Problem damit, sie zu bestehlen.
In einem alten Baumstamm am Feldrand habe ich einen Platz für mich und meine drei Kinder gefunden. Dort leben wir sicher, aber es geht uns nicht gut. Wir haben Hunger. Meine Milch reicht nicht mehr für die Kinder. Kraftlos bin ich und abgemagert. Mich plagen Zecken. Irgendwie aber muss ich für meine Drei sorgen. Ab und zu wage ich es, zu den Gärten der Zweibeiner zu gehen und dort nach Nahrung zu suchen.
Meine feine Nase ist mir dabei eine große Hilfe. Gerade jetzt, im Sommer, nehme ich herrliche Düfte wahr. Toll ist es, wenn gegrillt wird. Da findet sich oft ein Leckerbissen, den ich dann nach Hause tragen kann. Ich darf mich nur nicht erwischen lassen.

Einmal fand ich ein ganzes Bratwürstchen. Wie herrlich das roch! Das Wasser lief mir im Maul zusammen. Wie gern hätte ich es an Ort und Stelle verspeist. Dann aber kamen mir meine Kinder in den Sinn und ich verzichtete, obwohl ich am Morgen nur ein winzig kleines Mäuschen gefressen hatte. Für die Kleinen hatte es nur ein paar Tröpfchen Milch gegeben und ich musste sie jämmerlich vor Hunger maunzend zurücklassen. Das tut einer Mutter weh, sehr weh. Die Kinder haben sich so sehr gefreut, als ich das Würstchen mitbrachte, es war eine Freude, sie beim Fressen zu beobachten.

Heute habe ich wohl kein Glück, seit Stunden schon versuche ich, etwas Essbares zu ergattern. Nichts! Es ist zum Verzweifeln, eine dicke Wolke hängt über diesem Tag. Mein Magen knurrt so laut, dass ich mich nicht einmal mehr in die Nähe von Menschen wagen kann.
Doch manchmal öffnen sich Türen, wo man es nie vermutet hätte. Heute ist das der Fall beim Restaurant „Zum sanften Heinrich“. Ein Büffet vom Allerfeinsten wird dort angeliefert, sicher findet eine große Feier statt. Die Türen des Lieferwagens sind geöffnet, der Fahrer trägt gerade ein Tablett in den Hintereingang. Ich springe auf die Ladefläche, schaue mich kurz um und entscheide mich für ein halbes Brathähnchen. Das ist groß genug und leicht zu transportieren.
Als ich meine Kinder mit dem Festmahl erreiche bin ich stolz auf mich. Es ist wohltuend für meine Seele, den Kleinen beim Fressen zuzuschauen. Auch für mich bleibt noch ein wenig übrig und nachdem wir alle ein wenig geschlafen haben, gibt es auch als Nachtisch wieder etwas Milch für die Kinder. Für heute sind wir satt und zufrieden. Was uns der morgige Tag bringen wird, das werden wir dann sehen. Es geht immer irgendwie weiter. Stimmt doch, oder?

© Regina Meier zu Verl