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Bine und die Traumfee    unter dem Text auch zum Anhören

Bine konnte vor Müdigkeit kaum die Augen offenhalten. Aber schlafen wollte sie auf keinen Fall, denn in ein paar Minuten war es so weit, ihr sechster Geburtstag stand bevor. Sie freute sich sehr, denn das bedeutete, dass sie bald in die Schule gehen durfte. Sie war jetzt ein großes Mädchen.
Ob sie wohl die tolle Schultasche mit dem Einhorn darauf bekommen würde? Bine war mächtig gespannt. Im Haus war es still, nichts regte sich. Wäre heute nicht Vollmond, dann hätte sie im Zimmer nichts sehen können.
Bine schaute im Zimmer umher und versuchte krampfhaft die Augen offen zu halten. Trotzdem nickte sie kurz ein. Plötzlich tippte jemand leicht auf ihre Schulter. Bine erschrak und wusste zuerst gar nicht, wo sie war.
„Na, du bist mir ja ein Geburtstagskind!“, sagte eine feine Stimme, die Bine nie zuvor gehört hatte. „Du verschläfst den Anfang deines Geburtstages. Und das, wo wir uns so große Mühe gegeben haben, es richtig schön für dich zu machen!“
„Wer bist du und warum habt ihr euch so viel Mühe gegeben?“ Sie warf einen Blick zum Fenster, durch das der dicke Vollmond grinste. Es sah so aus, als lache er sie aus.
„Nun, da draußen bin ich nicht, da musst du mich nicht suchen.“ Das Stimmchen kicherte. „Ich bin hier bei dir im Zimmer, besser gesagt: wir sind hier in deinem Zimmer!“
Bine schaute sich um. Alles sah aus wie immer, oder halt… hatte sich dort im Bücherregal etwas bewegt.
„Hey, sitzt da jemand in meinem Regal?“, flüsterte Bine aufgeregt.
Dicht an Bines Ohr kicherte jemand.
„Das ist der Bücherwurm, der wohnt da!“
Bine erschrak. „Igitt, ein Wurm, der macht mir alle meine schönen Bücher kaputt.“
„Keine Sorge“, beruhigte die Stimme. „Er gräbt nur einen Weg für dich, damit du in unsere Welt, die du so liebst, eintreten kannst, denn wir haben für dich eine Geburtstagsparty vorbereitet. Schließlich ist es ein besonderer Geburtstag, denn schon bald wirst du lesen lernen und kannst dann all die Geschichten selbst lesen.“
„Ja, darauf freue ich mich schon. Einige Buchstaben kenne ich schon, zum Beispiel die aus meinem Namen“, sagte Bine stolz. Dann stockte sie. „Aber jetzt möchte ich erst einmal wissen, wer du bist. Sitz du etwa in meinem Ohr? Bist du ein Ohrwurm?“
Gekicher. „Nein, ich bin kein Wurm. Halte einmal deine Hand vor dich, mit der Handfläche nach unten!“
Bine hielt ihre Hand vor sich, genauso, wie die Stimme es gesagt hatte. Plötzlich kitzelte etwas ihren Handrücken und Bine entdeckte die kleine Fee, die sich dort niedergelassen hatte. Ihr entfuhr ein „Oh-wie-niedlich“.
Die Fee kicherte. „Ich wusste, dass du das sagen würdest!“, sagte sie.
„Wie konntest du das wissen?“
„Ich kenne dich schon etwas länger. Ich bin nämlich deine Traumfee, liebe Bine. Ich bin bei dir, aber nur wenn du schläfst, heute mache ich eine Ausnahme, weil doch dein Geburtstag ist! Herzlichen Glückwunsch übrigens!“
„Danke schön!“, sagte Bine höflich.
„So, nun geht es aber los“, sagte die Traumfee. „Zuerst muss du erraten, in welchem deiner Bücher der Bücherwurm einen Pfad für dich gebuddelt hat!“
Bine überlegte einen Moment.
„Ich habe keine Ahnung, kannst du mir einen Tipp geben, bitte?“, bettelte Bine.
„Ja, es ist dein Lieblingsbuch!“, verriet die Traumfee.
„Dann ist es das dicke Märchenbuch von Oma, aus dem mir meine Eltern jeden Abend eine Geschichte vorlesen! Richtig?“
„Ganz genau! Kannst du das Buch bitte einmal holen?“, bat die Traumfee. „Ich setze mich wieder auf deine Schulter, weil du beide Hände zum Tragen brauchst.“
Bine holte das dicke Buch aus dem Regal und trug es zum Bett. Dann kuschelte sie sich wieder unter die Decke, denn es war noch recht kalt nachts, obwohl der Frühling draußen schon überall zu spüren war.
„Gut so! Schlag nun die Seite mit deiner Lieblingsgeschichte auf!“, bat die Traumfee und da musste Bine gar nicht lange überlegen.
„Das ist die Geschichte von Benno, dem Hund, der von zu Hause weggelaufen war.“
„Hihi, ich wusste, dass du das sagen würdest!“, kicherte die Traumfee. „Mindestens einmal in der Woche müssen deine Eltern die vorlesen und wenn deine Oma zu Besuch ist, dann täglich!“ Die kleine Fee lachte so reizend, dass Bine mit einstimmte. Die Traumfee hatte ja recht, sie, Bine, kannte die Geschichte in und auswendig, so oft hatte sie die schon gehört.
Bine schlug also die Seite auf und staunte nicht schlecht, als da auf der Zeichnung vom Hund Benno der Bücherwurm saß und sie angrinste.
„Hey, Bine, happy Birthday!“, sagte er.
„Oh, wie niedlich!“, rief Bine und entschuldigte sich sofort dafür. „Ist mir so rausgerutscht, Entschuldigung!“
„Nun ja“, sagte der Bücherwurm. „Es gibt schlimmere Adjektive!“
„Hä?“ Bine stutzte. Das Wort kannte sie nicht.
„Wie-Wörter“, versuchte der Bücherwurm zu erklären, merkte aber, dass es das nicht besser machte.
„Lern erst einmal lesen, danach lernst du dann, dass Wie-Wörter beschreiben, wie etwas ist. Zum Beispiel ‚die dunkle Nacht‘, da ist dunkel das Wie-Wort!“, fügte er noch hinzu.
Damit gab sich Bine für den Moment zufrieden.
„Pass auf, du musst nun ganz still sein und die Augen schließen, denn jetzt geht die Party richtig los!“, flüsterte die Traumfee.
Bine schloss die Augen und lauschte. Unter der Decke war es schön warm und mittlerweile war schon fast eine halbe Stunde ihres Geburtstages vergangen. Sie hielt die Augen geschlossen und mit einem Mal sah sie die Traumfee, die mit ihren Freundinnen einen Reigen tanzte und der Bücherwurm stand auf einem Hocker und dirigierte ein Orchester, das wunderbare Musik machte. Da waren Grillen, die auf der Geige spielten, ein Hirschkäfer saß am Klavier, Frösche quakten im Takt der Musik und ein Spatzenchor sang ein Geburtstagslied. Wie schön das klang. Bine stand auf und klatschte vor Freude in die Hände und dann wurde sie an die Hand genommen und tanzte mit den Feen. Ein bisschen wunderte sich Bine, dass die Feen genauso groß waren wie sie selbst – aber was spielte das für eine Rolle, wenn man glücklich war, nicht wahr?

„Zum Geburtstag viel Glück, zum Geburtstag viel Glück!“, sangen Mama und Papa. Bine öffnete verschlafen die Augen und wusste in diesem Moment gar nicht wo sie war. Hatte sie nicht gerade noch mit den Feen getanzt?
Mama hatte einen Kuchen in der Hand, auf dem sechs Kerzen brannten.
„Auspusten, meine Große!“, sagte Mama. Bine richtete sich auf und wollte gerade pusten, als ihr das dicke Märchenbuch in den Bauch piekte. „Au!“, rief sie und Mama wunderte sich, wie es denn auf Bines Bett gekommen war.
Bine sagte nichts, sie wollte nicht, dass die Erwachsenen das einfach abtaten mit einem: Das hast du sicher nur geträumt. Denn sie war fest davon überzeugt, dass ihr Erlebnis in der Nacht ganz echt wahr gewesen war. Bombensicher!

© Regina Meier zu Verl

Bine und die Traumfee – zum Anhören
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