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Michael verändert sich

„Raus aus dem Bett, die Füße in die Turnschuhe, kurz im Bad vorbei, aufs Klo und einen Schluck Wasser trinken und dann raus in die Natur!“, sagte Doktor Fröhlich.
„Du wirst sehen, dass sich dann alle Probleme schon bald davon machen!“
Der hatte gut reden, er hatte ja auch nicht zwanzig Kilo Übergewicht und das ganze Gesicht voller Pickel. Ich hingegen litt unter beidem und das machte mich so unglücklich, dass ich immer weiter und weiter aß und ein Pfund nach dem nächsten auf die Rippen bekam. Dabei war ich damals erst dreizehn und sah eigentlich gar nicht mal so schlecht aus. Mein Name ist Mick, eigentlich Michael, aber das kling fad, oder?
Pfarrer Gietl hatte im Religionsunterricht erklärt, dass der Name Michael ‚Wer ist wie Gott‘ bedeutetet, und dass im Neuen Testament der Erzengel, der den Teufel besiegte , so hieß.
Die ganze Klasse hatte schallend gelacht und Karl rief laut: „War der auch so fett und pickelig, da ist der Teufel bestimmt von alleine ausgerissen , als er ihn sah.“
Karl bekam eine Strafarbeit.
Mich hat das nicht getröstet, obwohl er es ja echt verdient hatte. Pfarrer Gietl hatte es gut gemeint, aber der Schuss ging dann nach hinten los. Von da an hatte Karl mich so richtig auf dem Kieker, das kann ich euch sagen. Aber es war auch der Auslöser dafür, dass ich mich an Dr. Fröhlichs Tipp erinnerte und beschloss – heute ist der Tag, an dem sich alles verändern wird.

Ich hatte nämlich beschlossen, in den sechs Wochen Ferien eine Kur zu machen und mindestens zwanzig Kilo abzuspecken. Und nun bin ich hier bei Doktor Fröhlich, na der Name stimmt einen doch schon positiv, findet ihr nicht.
Auch sind hier viele Jugendliche, die das gleiche Problem haben und keiner hat gestern gelacht, als ich ihnen vorgestellt wurde. Ihr glaubt nicht, wie gut das tut. Jedenfalls bin ich guter Dinge und freue mich nun auf die Zeit hier, auch wenn ich ein wenig Angst habe vor dem, was auf mich zukommen könnte.
Jetzt aber erstmal rein in die Turnschuhe, im Bad vorbei und dann raus in die Natur. Vor der Tür warten schon einige Jungs, die nun mit mir zusammen in den Wald laufen werden und danach erst gibt es Frühstück.

Ich war nun schon eine Woche hier. Der erste Waldlauf war eine Katastrophe. Ich kam den anderen kaum hinterher und musste fürchterlich schnaufen. Niemand lachte mich aus, dass ich immer das Schlusslicht bildete.
Nach ein paar Tagen lief ich schon in der Mitte. Überhaupt schön war es hier, obwohl die Umstellung des Essens mir anfangs Probleme bereitete.
Als ich die erste Veränderung an meinem Körper bemerkte, war mein Ehrgeiz geweckt. Ich trainierte noch intensiver und dachte fast gar nicht mehr an meine heiß geliebten Kartoffelchips, die mit einer eiskalten Cola hinuntergespült wurden. Das sollte Vergangenheit sein, so nahm ich es mir vor.
Mit Jonas verstand ich mich besonders gut. Er war in meinem Alter und auch vom Gewicht her ungefähr mit mir auf einer Stufe. Wir lachten, wenn wir uns als „dicke“ Freunde bezeichneten und wir schworen, uns nach der Kur zu schreiben und irgendwann mal wiederzusehen, obwohl uns ein paar hundert Kilometer trennten.
Könnt ihr euch vorstellen wie froh ich war, zum ersten Mal hatte ich einen Freund.

Die Gespräche mit dem Therapeuten fand ich einfach super. Zuerst war ich noch schüchtern, aber dann konnte ich alles erzählen, was mir auf der Seele brannte. Das tat gut.
Er sagte zu mir, dass ich nicht immer alle Probleme mit Essen lösen kann, damit schade ich mir nur selbst.
Ich muss mich meinen Problemen stellen und wenn ich gemobbt werde, das einfach ignorieren.
Aber so einfach wie der sich das vorstellt, geht es nicht immer.
3 Wochen später
Also das mit dem Essen, das kriege ich ganz gut hin, obwohl mir doch manchmal der Zahn tropft vor Süßigkeiten- und Chips Lust. Hunger ist das nämlich nicht, zu essen bekomme ich hier wirklich genug und es schmeckt auch alles sehr gut. Wir bekommen sogar die Rezepte dazu, damit unsere Eltern auch zu Hause so weiterkochen können für uns. Aber die Sache mit dem Mobbing ist schwieriger, ich kann mir nicht vorstellen, dass ich das zu Hause einfach so ignorieren kann.
Das sagte ich auch meinem Therapeuten und er schlug mir vor, mit mir extra Übungen für das Selbstbewusstsein zu machen.
Heute beginnt die erste Stunde, eigentlich haben wir ja in dieser Zeit eine Freistunde und ich wollte mit Jonas etwas unternehmen.
Da zeigt es sich, was für ein guter Kumpel Jonas doch ist. Er winkt einfach ab und meint mit einem schiefen Lächeln:
„Dafür erklärst du mir was ihr so macht, denn mehr Selbstbewusstsein könnte ich auch gebrauchen.“
Ich frage Herrn Reinold, ob Jonas auch mitkommen darf.
Er ist begeistert. „Klar, das ist ja prima, dann hast du gleich einen Übungspartner!“
Herr Reynold ist ein guter Therapeut, wenn ich das so sagen kann. Ich habe eigentlich keine Ahnung davon. Aber wir fühlen uns beide sehr wohl bei ihm und haben gar nicht gemerkt, dass wir therapiert wurden.
Wir sind beide nun schon vier Wochen in der Kur und die Zeit verfliegt nur so. Ganz ehrlich, ich bedauere, dass es nun nur noch knapp zwei Wochen sind, bis wir wieder nach Hause und schlimmer noch in die Schule müssen.
Zwanzig Kilo habe ich noch nicht abgenommen, das macht aber nichts. Es wird weniger und das ist entscheidend. Ich fühle mich erleichtert und freue mich auf die nächsten zwei Wochen.
Am Sonntag werden wir das erste Mal Besuch von den Eltern bekommen.
Die werden staunen, wenn sie uns sehen, wetten?

© Regina Meier zu Verl