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Pass doch auf, wo du hintrittst

Reni hatte ihren großen Drahtkorb neben sich stehen und erntete Möhren, Kohlrabi und Kartoffeln. Heute sollte es eine leckere Gemüsesuppe geben, wie jeden Mittwoch. Zwiebeln hatte sie noch im Vorratsraum. Sie freute sich auf dieses einfache, aber schmackhafte Gericht, dass ihr das Wasser im Munde zusammenlief. Es erinnerte sie an ihre Kindheitsbesuche bei ihrer Großmutter. Dort hatte es jeden Tag eine Suppe gegeben. Als Vorspeise, oft auch als Hauptgericht.
Mittlerweile war sie selbst eine Großmutter, allerdings sah sie ihre Enkel nur selten, weil die zu weit von ihr entfernt lebten. Wie schön wäre es, wenn sie öfter Besuch von ihnen bekäme, aber das war schwierig.
„Sie würden eine einfache Gemüsesuppe auch nicht sonderlich mögen. Sie sind Besseres gewohnt“, versuchte sie sich selbst zu trösten. „Alles hat zwei Seiten.“
Sie ging mit ihrem Erntekorb weiter zum Kräuterbeet. Liebstöckel brauchte sie noch, etwas Petersilie und Schnittlauch. Was noch?
„Ach, das wird schon reichen vorerst. Ansonsten kann ich jederzeit wieder rausgehen und holen, was mir fehlt!“, sagte sie laut und erschrak, als sie direkt eine Antwort bekam.
„Aber nicht wieder alles platt treten, für heute reicht`s, ich weiß gar nicht mehr, wohin ich mich verkriechen soll!“, sagte ein feines Stimmchen. Es kam von unten, aber Reni konnte nirgends entdecken, wer zu der Stimme gehörte.
Reni erschrak. Was war das? Hörte sie schon Geister? Oder war es ein Fehler gewesen, dass sie vorhin ihre schmerzende Stirn mit Melissengeist eingerieben hatte? Da war immerhin tüchtig Alkohol drin. Ach nein!
„Unsinn“, knurrte sie. „Es war wohl der Wind, der ein Spielchen mit mir treiben wollte.“
Trotzdem beugte sie sich nach unten und schaute ein wenig genauer auf den Boden. Schaden konnte es ja nicht.
„Ja, schau nur hin! Fast hättest du mich zertreten. Das ist nicht nett von dir!“, sagte das Stimmchen nun. Und jetzt sah Reni auch, zu wem diese Stimme gehörte. Eine Schnecke, gar nicht mal so klein, mit einem wunderschönen Häuschen schaute zu ihr hoch.
„Ach, du bist das?“, antwortete sie. „Ich hätte dich fast überhört.“
„Hihi!“, kicherte die kleine Schnecke. „Das passiert uns Schnecken immer. Nie hört ihr auf das, was wir euch sagen wollen. Dabei habt ihr so große Ohren.“
„Aber wir haben nicht so feine Fühler wie ihr“, meinte Reni. „Daran wird es wohl liegen.“
Dann erschrak sie. Unterhielt sie sich da gerade mit einer Schnecke? Sie griff sich an die Stirn, die nicht mehr schmerzte.
„Hast du etwa Fieber?“, fragte die Schnecke besorgt.
„Nein, wie kommst du darauf?“ Reni kam gar nicht dazu, sich weitere Gedanken zu machen, die Schnecke hatte offensichtlich Lust zu plaudern und das setzte sie dann auch gleich fort:
„Wusstest du, dass wir Schnecken sehr neugierig sind?“, erkundigte sie sich. „Und bist du es auch?“
„Was?“
„Na, neugierig“, freute sich die Schnecke.
Rena lachte. „Jetzt bin ich es“, kicherte sie. „Deshalb sag mir mal, warum du sprechen kannst. Wo hast du es gelernt?“
„Och, das war ganz leicht. Weißt du, wenn man etwas lernen will, dann muss man einfach nur gut hinhören und dann üben, üben und nochmals üben“, verriet die Schnecke und sofort ahnte Reni, wem das Schneckchen denn zugehört hatte. War es nicht der liebe Friedrich, der den Enkeln ständig predigte, dass sie üben, üben und nochmals üben sollten?“
„Da sagst du was!“ Reni nickte. „Er hat das auch zu mir oft gesagt, viel zu oft, und wenn ich ehrlich bin, so hat es mich immer schrecklich genervt.“
„Was? Das Üben? Aber du bist doch schon alt, was muss man da noch üben?“ Die kleine Schnecke staunte.
„Das, meine liebe kleine Schnecke, hört nie im Leben auf und das ist auch gut so.“ Reni nickte bekräftigend.
Nun wollte die Schnecke unbedingt ein Beispiel haben, was man als alter Mensch noch so lernen und üben muss und fragte nachdrücklich: „Nun sag schon, du musst es doch wissen!“ Reni lachte und überlegte einen Moment.
„Man muss zum Beispiel lernen Geduld zu haben, weil alles nicht mehr so flott geht, wie in jungen Jahren. Das muss man tatsächlich üben, solltest du auch einmal versuchen!“
“Ist das anstrengend?“, erkundigte sich die kleine Schnecke.
Reni nickte.
„Lernen ist immer anstrengend, aber umso wertvoller, wenn man sich darauf einlässt.“
„Ihr Menschen, glaube ich, seid auch ziemlich anstrengend“, murmelte die Schnecke.
Das Gespräch hatte sie tatsächlich ein wenig müde gemacht. Deshalb verabschiedete sie sich:
„Mach‘s gut, ich mache erstmal ein Päuschen! Viel Spaß beim Üben und pass auf, wo du hintrittst!“, sagte sie noch und zog sich in ihr Häuschen zurück.
Reni musste sich nun sputen, wenn sie ihre Gemüsesuppe noch rechtzeitig auf den Tisch bringen wollte. Trotzdem schaute sie angestrengt auf den Boden, um auf niemandem ihrer Gartenbewohner zu treten. Gut so!


© Regina Meier zu Verl